Gemeinsam: Hilfe für (Ukraine)-Geflüchtete
Wir schreiben hier von “Ukraine-Flüchtlingen”, der Ukraine und Russland - stellvertretend aber auch von allen anderen Gebieten unserer Erde wo Auseinandersetzungen und Not aktuell stattfinden. Wenn die einzige verbleibende Lösung das Flüchten ist, dann gilt es auf humanitärer Ebene neben den unmittelbarsten Grundbedürfnissen, wie Nahrung und Schutz, auch der mentalen Gesundheit eine grosse Rolle einzuräumen.
Viele sind von dem aktuellen Weltgeschehen rund um den Ukraine-Krieg erschüttert und auch wir in der Praxis beosana diskutieren über die verschiedenen Möglichkeiten, in dieser Krise zu helfen. Wir sind der Meinung, dass helfen gleichermassen einfach wie sinnvoll ist, wenn man sich mit seinem Hilfsangebot auf genau das konzentriert, was man sowieso gut kann und tut: ein Appell an Psychotherapeuten und Netzwerker.
Krieg: Eine grosse belastung für die mentale Gesundheit
Menschen, die erleben mussten, wie ihr Heimatland angegriffen wird, wie sie selbst und ihre Liebsten Leid erfahren mussten, werden mit starken Emotionen konfrontiert. Und während sie physisch vor dem Krieg fliehen konnten, reisen die eigenen Ängste, Sorgen oder Traumata einfach mit.
Die Thematik “mentale Gesundheit von Geflüchteten” braucht daher unsere absolute Aufmerksamkeit.
Während wir in einem weiteren Artikel (hier) darüber schreiben, wie man im Alltag - und auch ohne psychologische Ausbildung - Geflüchtete unterstützen kann, möchten wir uns im folgenden Text insbesondere auf die Berufsgruppe der Psychotherapeuten konzentrieren.
Tue das, was du kannst: Wie psychotherapeutischen Praxen eine wichtige Lücke schliessen können
Es ist so simpel, wie es klingt: Menschen, die Betroffene unterstützen wollen, könnten doch einfach genau mit dem helfen, was sie am besten können. Lehrende unterrichten Flüchtlinge, Hoteliers stellen ihre Betten zur Verfügung - und wir Therapeuten? Ja - wir können absolut niederschwellig und einfach therapeutische Unterstützung anbieten!
Wenn jede*r Einzelne*r entbehrliche Zeitressourcen zur Verfügung stellen würde, dann könnten innerhalb kürzester Zeit enorm viele psychisch beeinträchtigte Flüchtlinge psychotherapeutisch aufgefangen werden.
→ Mit dem Schutzstatus S erhalten Menschen aus der Ukraine einen unkomplizierten Zugang zum Schweizer Gesundheitssystem. So können Psychotherapeuten Geflüchtete auch ohne Krankenversicherung behandeln und ihre Leistungen (sowie Dolmetscherleistungen) über Kantone und Bund garantiert der Grundversicherung in Rechnung stellen.
Tue Gutes und rede darüber
Wir in der Praxis beosana möchten niederschwellige therapeutische Unterstützung, aber auch unser Netzwerk zur Verfügung stellen. Mit diesem Artikel wollen wir einen Anfang machen und konkrete Denkansätze und Ideen teilen.
Impulse, die inspirieren und anstossen sollen - denn jeder kann aktuell auf seine Art und Weise einen Beitrag zur Unterstützung leisten. Ein gutes Beispiel ist der basler psychotherapeut Stefan Schwarz: Als Psychologe und Pädagoge sieht er bei Geflüchteten nicht nur die verletzte Seite, Traumata oder Störungen, sondern insbesondere die Ressourcen eines jeden einzelnen Betroffenen. Wie können beispielsweise positive Synergien entstehen, wenn Geflüchtete selbst zu Helfenden werden? Welchen Einfluss hat eine sinnstiftende Betätigung, eine Tagesstruktur für geflüchtete Kinder und Erwachsene? Fragen auf die wir im folgenden Interview mit Stefan Schwarz ermutigende Anregungen und Antworten bekommen.
Spannungsfeld Therapie und Pädagogik
Qurateam Therapeut und Pädagoge Stefan Schwarz
Du hast als Lehrer und Psychotherapeut ein volles Arbeitspensum. Wie kam es dazu, dass du dich zusätzlich immer auch humanitär engagierst?
Stefan Schwarz (S): Der rote Faden in meiner Arbeit ist es, Kinder und Erwachsene auf ihrem Lebensweg zu fördern und zu ermutigen. Dies gelingt für mich in der Kombination als Lehrer und Therapeut.
Wie unterscheidet sich deine Arbeit in beiden Berufen?
S: Im Pädagogischen liegt der Schwerpunkt auf der Prävention: Kinder in ihrer Resilienz, in ihren Werten und Selbstwert zu stärken. Dabei arbeite ich mit “gesunden” Kindern.
“Ich bin nicht meine Störung.” Die wichtige Rolle des Selbst-Werts.
In meiner therapeutischen Arbeit betreue ich Personen mit einem “Störungsbild”. Oft geht es dort eher um einen Aufbau, beispielsweise wenn das Urvertrauen verloren gegangen ist. Dabei sehe ich die “Störung” durchaus auch als Kompetenz: Welche Stärken haben die Betroffenen mit dem zusätzlichen Fokus ihre Störung erhalten und welche (positive!) Erfahrungen haben sie damit gemacht? Insbesondere Kinder identifizieren sich meist mit ihrer Störung, beschreiben sich beispielsweise selbst als “Ich bin ADHS’ler!” Ich möchte sie ermutigen, mit ihrer Störung zu leben - aber sie auch ermutigen, nicht mit der Diagnose zu verschmelzen. Denn schliesslich sagt auch niemand “Ich bin die Grippe!” nur weil man an einem Infekt erkrankt ist.
Zusammenfassend könnte man sagen, dass es in beiden meiner Rollen um die Förderung und den Aufbau der “Ich-Stärke” geht - dies gilt für Kinder und Erwachsene gleichermassen.
Aristoteles und das aktuelle Weltgeschehen
Stefan, kannst du dich noch erinnern, wie du vom Angriff und der Flüchtlingsbewegung erfahren hast?
S: Ja, ich habe es von einem Freund erfahren und war fassungslos, da ich mit dieser Eskalation einfach nicht gerechnet hatte. Mein Wert der Gerechtigkeit wurde massiv tangiert: Wie kann es sein, dass ein souveränes Land einfach so überrollt wird? Meine nachfolgenden Gedanken kreisten um die Frage, wie ich die Not lindern könnte?
“Wo deine Talente und die Bedürfnisse der Welt sich kreuzen, dort liegt Deine Berufung.“
(Aristoteles)
Aristoteles hat es auf den Punkt gebracht, wie wir herausfinden können, wie und wo wir uns einbringen können in der Welt. Meine persönliche Begabung liegt im Pädagogischen und Therapeutischen, daher war es gleich klar, dass ich mich in diesem Bereich einsetzen möchte.
Eine Chance, dies im grösseren Rahmen tun zu können, sehe ich unter uns Psychotherapeuten: Wie Betroffene unterstützen? Wie können wir netzwerken und Menschen zusammenbringen?
Gemeinsam statt einsam: Connecting People
Es gibt (zum Glück) viele Menschen, die spenden oder Hilfstransporter organisieren. Doch im gesundheitlichen Bereich ein Netzwerk aufzubauen und Menschen miteinander verbinden, hier sehe ich unsere Stärke, das ist meine erste Priorität.
Mit deinen persönlichen Kontakten zu Ukrainern hast du dann die Bewegung gestartet, die wir auch psychotherapeutisch in der Praxis beosana umsetzen.
Unkomplizierte Therapie für Ukraine Flüchtlinge
Für uns in der Praxis beosana steht bereits fest, dass wir Geflüchteten aus der Ukraine eine schnelle und unkomplizierte therapeutische Unterstützung bieten möchten. Daher halten wir das gesamte Therapeuten-Team dazu an, auch erweiterte Zeit-Ressourcen zur Verfügung zu stellen und haben eine priorisierte Anmeldung über unser Onlineanmeldung für alle Geflüchteten eingerichtet.
Wir arbeiten daran, traumaspezifische psychiatrische Psychotherapie sowieso weitere psychotherapeutische Kapazitäten zur Verfügung zu stellen. Aktuell ist daher die einzige Voraussetzung neben dem Schutzstatus S, deutsche oder englische Sprachkenntnisse (oder die Offenheit mit Dolmetschern zusammenzuarbeiten).
Aber auch für Gastfamilien sehen wir den Bedarf: Dort wo unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen, wo auch Helfende mit enormem Leid und Traumata von Geflüchteten konfrontiert werden, kann eine vermittelnde therapeutische Betreuung des Systems notwendig werden.
Wie kann ich Geflüchtete unterstützen?
Stefan, was sind darüber hinaus deine wichtigsten Anliegen für Menschen, die auf der Flucht waren, die vielleicht Traumatisches erlebt haben? Hast du Lösungsansätze für eine Kurzzeitintervention? Um auf dieser Weise so vielen Betroffenen wie möglich zu helfen?
S: Nicht jeder trägt ein Trauma davon. Es gibt sehr resiliente Menschen, die auch schlimme Erlebnisse verarbeiten können. Aber davon unabhängig tut es immer gut, sich schöpferisch einzubringen. Wenn man eine Tagesstruktur hat und einer sinnstiftende Beschäftigung nachkommen kann (die nicht unbedingt bezahlt sein muss), wenn man einfach mithelfen kann! Eine willkommene Ablenkung für alle diejenigen, die sonst permanent mit den Gedanken bei ihren Liebsten wären.
Was sind zusammenfassend deine Tipps, wie Hilfe für Ukraine-Flüchtlinge geleistet werden kann?
Stefan Schwarz (S):
Unterstützung bei der Etablierung einer Tagesstruktur. Dazu gehört für die Kinder selbstverständlich die Schule. Aber auch Erwachsene profitieren enorm von einer ablenkenden und sinnstiftenden Betätigung. Das muss nicht unbedingt der erlernte Beruf sein, sondern kann auch eine gemeinnützige Aufgabe sein.
Gehör schenken, sodass ungedeckte Bedürfnisse erkannt werden - und im besten Falle erfüllt werden - können.
Vernetzung ermöglichen: Kontakte zu NGO’s oder anderen Landsleuten herstellen um die Betroffenen aus ihrer Isolation herauszuholen. So können Stärken, Talente und Kräfte gebündelt werden.
Ressourcen aktivieren: Beispielsweise durch therapeutische Unterstützung können Betroffene lernen, auf ihre Stärken aufzubauen.
Und zu guter letzt: Ich wünsche mir eine versöhnliche Haltung bei allen Beteiligten. Es gibt nicht nur “Gut und Böse”. Eine korrekte Kommunikation und ein ständiger Faktencheck sind die Basis in der aktuellen Krisen-Situation.
Wenn Versöhnung im Kleinen gelebt wird, dann kann sie im Großen etwas bewirken, wenn es darum geht, Frieden zu schaffen.
Ein Artikel der beosana Redaktion in Zusammenarbeit mit Stefan Schwarz © 2023 Beosana AG
Fotos: Paulina Rytova und Matthew Waring auf Unsplash