ChatGPT als Co-Therapeut
Wie Künstliche Intelligenz die Psychotherapie ändert
Die Künstliche Intelligenz hält Einzug in immer mehr Bereiche unseres Lebens und macht auch vor der Psychotherapie nicht halt.
Und so fällt uns auch in der Praxis beosana seit einiger Zeit fällt auf, dass Patienten in der Therapie immer öfter über ihre Gespräche mit ChatGPT berichten. Was sie mit dieser Maschine bereden? Schlafprobleme. Ihre Beziehung. Medikation. Alles Mögliche.
Und was Patienten uns rückmelden, ist erstaunlich: Dass es ihnen hilft. Dass sie sich verstanden fühlen. Dass sie neue Gedanken fassen konnten. Und manchmal auch: Dass sie irritiert sind, was da alles zurückkommt.
Wir haben deshalb bei beosana begonnen, uns ernsthaft mit dem Thema “KI in der Therapie” zu beschäftigen: Was bedeutet es, wenn ein Chatbot Teil eines psychotherapeutischen Prozesses wird? Was ist dieser Chat eigentlich: Ressource, Risiko oder etwas ganz anderes? Unsere Gedanken zu “ChatGPT als Co-Therapeut”.
Die Stärken einer Therapie-Ergänzung mit künstlicher Intelligenz:
Selbstwirksamkeit und Selbstentdeckung
Einer der grössten Vorteile von ChatGPT liegt in seiner Fähigkeit, Patienten bei der Selbstformulierung zu unterstützen. Viele Menschen leiden unter dem Gefühl der Hilflosigkeit – sie fühlen sich ihrer Krankheit oder den Umständen ausgeliefert.
Meist sagt eine Therapeut*in ihrer Patient*in nicht, worum es in ihrem Leben geht, sie lässt sie die Mechanismen selbst entdecken und formulieren. ChatGPT kann bei diesem Prozess der Selbstentdeckung eine wertvolle Unterstützung sein. Patienten finden durch den Dialog mit der KI Formulierungen, die sie selbst nie gefunden hätten. Entscheidend ist dabei: Die KI wird nicht als externe Person wahrgenommen, sondern als symbiotischer Teil des eigenen Ichs.
Wenn eine Patient*in also durch die Interaktion mit ChatGPT zu der Erkenntnis kommt "Der Mechanismus könnte so oder so sein", dann haben sie diese Einsicht quasi selbst entwickelt - und können sie deshalb auch eher umsetzen.
Auch wenn es von der Entdeckung zur Umsetzung noch viele Schritte bedarf, kann auch hier ChatGPT als Co-Therapeut eine Unterstützung leisten, indem es Zwischenschritte vorschlägt und ermutigt.
Was bedeutet KI-unterstützte Psychotherapie mit ChatGPT und Co?
Stellen Sie sich vor, Sie haben Zugang zu einer Bibliothek mit tausenden von Fachbüchern – und diese Bibliothek kann Ihnen in Sekundenschnelle genau die Informationen liefern, die Sie in diesem Moment brauchen. So lässt sich die Rolle von ChatGPT in der Therapie beschreiben. Während früher Patienten oder Therapeuten monatelang über ein Problem nachdenken mussten, können sie heute mit der richtigen Fragestellung sofort an einem fortgeschrittenen Punkt der Reflexion einsteigen.
Diese Möglichkeit eröffnet sowohl für Therapeuten als auch für Patienten völlig neue Wege der Erkenntnisgewinnung.
Doch wie bei jedem mächtigen Werkzeug kommt es auf die richtige Anwendung an.
„Mit ChatGPT als Co-Therapeut kann die Therapie mehr Tiefe erlangen. Den Raum und die Verantwortung allerdings, halte ich weiterhin für meinen Patienten.“
Fehlt der KI die therapeutische Balance? Ressourcenaktivierung vs. Problemaktivierung
In der Therapie ist das Gleichgewicht zwischen Ressourcenaktivierung und Problemaktivierung entscheidend. Ressourcenaktivierung sollte dabei immer grösser sein als Problemaktivierung - nur so entsteht ein Raum für Heilung und Wachstum.
ChatGPT neigt dazu, eine milde Form der Ressourcenaktivierung zu betreiben. Es sucht nicht gezielt nach Ressourcen, sondern aktiviert eher oberflächlich. Bei der Problemaktivierung hält es sich oft an Allgemeinplätzen auf. Das kann sowohl Vor- als auch Nachteil sein: Einerseits vermeidet es zu tiefe Eingriffe, andererseits kann es dadurch wichtige therapeutische Prozesse nicht anstossen.
Die Grenzen einer AI-Therapie:
Wo menschliche Kompetenz unersetzlich bleibt
So vielversprechend die Möglichkeiten auch sind, ChatGPT hat klare Grenzen. Die wichtigste: Es kann keine Verantwortung übernehmen. Eine Therapeut*in übernimmt diese in der Regel sowohl für die Tiefe der Diskussion, die Tiefe der Problemaktivierung als auch für die gesetzten Ziele. Sie verhindert, dass Patienten in ihrer "eigenen Suppe" verweilen, und hat das nötige Feingefühl für den richtigen Zeitpunkt bestimmter Interventionen.
Therapeuten begreifen die individuellen Bedürfnisse und machen sie dem Patienten verständlich. Ausserdem kann die KI keine tragfähige therapeutische Beziehung aufbauen, die für tiefgreifende Veränderungsprozesse essentiell ist.
5 Tipps wie ChatGPT sinnvoll bei seelischer Belastung genutzt werden kann
Nicht allein lassen: Was im Chat entsteht, sollte parallel mit einer echten Person besprochen werden. Im besten Fall mit einer Fachperson.
Verantwortung bei sich behalten: ChatGPT kann keine Diagnosen stellen. Und wenn es so klingt, ignorieren und einen möglichen Verdacht mit einer Fachperson abklären.
Keine Beziehungsthemen entscheiden lassen: Ob eine Trennung nötig ist, kann keine künstliche Intelligenz beantworten. Wenn sich Antworten grenzüberschreitend anfühlen, ist es das wahrscheinlich auch.
Erkenntnisse als Einladung verstehen: Was du aus dem Chat mitnimmst, ist ein Impuls. Kein Urteil. Ein Gedanke, keine Wahrheit.
Nicht bei Belastung einsteigen: Wer sich akut schlecht fühlt, sollte nicht mit einem Chatbot sprechen, das nicht mitschwingt. Dann gilt: Erst mit Menschen sprechen.
Kritische Eigenschaften von Chatbots in der Therapie
ChatGPT redet, wie man fragt. Wer Klarheit will, bekommt Klarheit. Wer schwankt, bekommt diverse Vorschläge - ohne roten Faden.
Und genau hier liegt ein erster Haken: ChatGPT ist nicht neutral. Es klingt nur so. Es antwortet so, wie man es füttert. Man muss wissen, wie man fragen muss und im besten Fall bereits vorher einen gefestigten Standpunkt haben.
Aber genau das fehlt oft im Krankheitsfall. Depression, Angst, existenzielle Überforderung - das alles sind Zustände, in denen Orientierung fehlt.
Und so fängt die Maschine an, nach dem Schnabel zu reden. Sie spiegelt den Zustand zurück, in dem man sich befindet. Aber ohne Korrektiv. Ohne Realität. Ohne Verantwortung.
Praktische Umsetzung in der Praxis beosana Basel: Der Weg zum verantwortungsvollen Co-Therapeuten
In unserer Praxis für Psychiatrie und Psychotherapie haben wir ein umfassendes Konzept entwickelt, wie ChatGPT verantwortungsvoll als digitaler Co-Therapeut eingesetzt werden kann:
1. Schulung der Therapeuten: Unsere Therapeuten werden im Umgang mit ChatGPT als Co-Therapeut geschult. Sie lernen, die Stärken der neutralen Co-Therapie zu nutzen und gleichzeitig die Grenzen zu erkennen.
2. Begleitung der Patienten: Patienten werden angeleitet, wie sie ChatGPT sinnvoll für ihre therapeutische Arbeit nutzen können. Dabei lernen sie auch, die Grenzen der KI zu verstehen.
3. Integration in die Therapie: Die Erkenntnisse und Gespräche mit ChatGPT werden aus dem "stillen Kämmerlein" in die Therapie geholt. Regelmässige Gespräche über die ChatGPT-Interaktionen sind ein wesentlicher Bestandteil des Prozesses.
4. Verantwortungsübernahme: Die menschliche Therapeut*in behält immer die Gesamtverantwortung für den therapeutischen Prozess. Sie entscheidet über die Richtung, bewertet die ChatGPT-Verläufe und sorgt für die nötige Balance.
Zukunft der Psychotherapie: Braucht es noch Psychiater und Psychologen, seit es Chat-GPT gibt?
Braucht es Psychologen und Psychiater überhaupt noch? Für viele Bereiche wird die Antwort zunehmend differenzierter. Psychoedukation kann beispielsweise durchaus gut mit ChatGPT erfahren werden. Patienten mit struktureller Integrität könnten so nach einer Phase der KI-unterstützten Krankheits-Aufklärung tatsächlich weniger professionelle Begleitung benötigen.
Andere hingegen sind ohne Energie und überfordert: sie brauchen die menschliche Begleitung. Die Kunst liegt darin, für jeden Patienten die richtige Balance zu finden.
Und was wir nicht vergessen dürfen: Es ist eine Textmaschine. Kein Therapeut, keine Freundin, kein Buch. Und genau deshalb braucht es Kultur und Stärke, um es sinnvoll zu nutzen. Es braucht ein inneres Korrektiv und das fällt in der Krise schwer.
Wir sehen ChatGPT nicht als Gefahr. Aber auch nicht als Ersatz.
Wir sprechen von einem Co-Therapeuten. Einer zusätzlichen Stimme. Einer Inspirationsquelle. Ein Ort, an dem Menschen beginnen zu denken. Oder weiterzudenken. Aber nie ein Ort, an dem sie allein gelassen werden sollten.
Vorreiter in der Schweiz: Unsere Basler Praxis setzt auf verantwortungsvolle AI-Innovation in der Therapie
So zeigen Studien, dass Menschen in belastenden Situationen durch KI-gestützte Selbsthilfe kurzfristig Entlastung empfinden können. In einer Untersuchung von Carr (2023) gaben 76 Prozent der Befragten an, dass sie durch die Nutzung von ChatGPT bei emotionalen Themen „klarer denken“ konnten. Gleichzeitig fühlten sich 41 Prozent nach intensiven Gesprächen mit der KI „alleingelassen“, gerade dann, wenn die Themen in Richtung Trauma oder Beziehung gingen.
(Quelle: Carr, M. et al., 2023. AI Companions and Mental Health: An Exploratory Study, Journal of Human-Computer Interaction)
Gleichzeitig ist es entscheidend, dass wir uns nicht blind in die Hände von Programmierern begeben, wenn es um menschliche Schicksale geht. Die Verantwortung für therapeutische Prozesse muss immer bei qualifizierten menschlichen Therapeuten liegen.
Bei beosana verstehen wir ChatGPT als das, was es ist: ein mächtiges Werkzeug, das in den richtigen Händen und mit der nötigen Verantwortung eingesetzt, die therapeutische Arbeit bereichern kann. Nicht als Ersatz für menschliche Kompetenz, sondern als Ergänzung, die neue Räume der Inspiration und Selbstentdeckung eröffnet.
Die Zukunft der Psychotherapie wird vermutlich nicht ohne KI auskommen, aber sie wird definitiv niemals ohne den Menschen auskommen. Unsere Aufgabe ist es, diese beiden Welten verantwortungsvoll zu verbinden.
Ein Artikel von Joseph Selinger
Foto: @priscilladupreez auf Unsplash